Die Entwickler-Helfer

Ein Informatiker-Team der Lübecker Uni hilft den Software-Entwicklern in Industrie und Kliniken dabei, die tatsächlichen Bedürfnisse der späteren Nutzer schon im Prozess der Produktentwicklung zu berücksichtigen.

„Nokia ist daran gescheitert.“ Professor Michael Herczeg (rechts im Bild) vom Institut für Multimediale und Interaktive Systeme der Universität zu Lübeck (IMIS) nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um sein Spezialthema geht: Software-Ergonomie, also die Bedien- und Gebrauchstauglichkeit von Geräten, die über Softwareanwendungen gesteuert werden. „Beim Mobiltelefon, heute: Smartphone, kennt das jeder“, erläutert Herczeg das Problem der Hersteller: „Der Benutzer möchte immer komplexere Aufgaben mit dem Gerät erledigen – aber dafür nicht extra ein Bedienstudium machen müssen. Das Gerät muss sich weitgehend selbst erklären. Die Entwickler arbeiten derweil fleißig und technisch erfolgreich ihre Anforderungs- und Funktionslisten im traditionellen industriellen Entwicklungsprozess ab, aber die realen Nutzerbedürfnisse werden nur am Rande erfasst oder beliebig interpretiert.“ Nokia, so meint der Ergonomie-Experte, habe nach sehr erfolgreichen und für die damalige Zeit auch guten Produkten einfach zu lange gewartet, ob die Touchscreen-Euphorie seit Apples iPhone nicht doch irgendwann vorbei geht. Das geschah nicht, das Gegenteil war der Fall, weil es seitens der Benutzer und Käufer längst neue Erfahrungen und Erwartungen gab. Die Nokia-Telefone funktionierten zwar nach wie vor technisch gut. „Aber keiner wollte sich mehr mit einer Tastatur durch die wenigen Anwendungen klicken. Viele Anwender kauften dann massenweise Geräte aus Südkorea, wo Apples Design schnell für breitere Käuferschichten aufgegriffen und adaptiert worden war. So kann ein Innovations- und Marktführer schon mal einbrechen“, analysiert Herczeg, „einfach weil er seine Zielgruppen und deren Usability-Wünsche nicht genau genug bestimmt und bedient hat. Wenn man dann erst einmal zu spät dran ist, ist es sehr schwer, seine Kundschaft und deren Vertrauen wiederzugewinnen.“ Mit Blick auf den Sieger im Wettbewerb fügt der Experte lächelnd hinzu: „Übrigens ist selbst das iPhone nicht in jeder Hinsicht besser, aber es war zum richtigen Zeitpunkt aus Sicht der Käufer und Benutzer die Lösung inklusive der persönlichen Identifikation mit dem Produkt und das ist letztlich entscheidend für den Erfolg.“

In Sachen „Usability“ macht dem Lübecker IMIS-Team so schnell keiner etwas vor. In den vergangenen fünf Jahren haben die Fachleute des Instituts unter Herczegs Leitung eine modular aufgebaute Software entwickelt, die weltweit einmalig ist. Sie hilft den Software-Entwicklern in Industrie und Kliniken dabei, die Nutzer mit ihren Erwartungen frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Der Lübecker Werkzeugkasten trägt den sprechenden Namen „UsER“, Usability Engineering Repository“. Es stellt dem Entwickler systematisch und voll integriert alle Informationen, die er für bestmögliche Anwenderorientierung braucht, unter einer einfach bedienbaren Browser-Oberfläche zur Verfügung: Benutzereigenschaften, Organisationsstrukturen, Aufgabenstellungen, Arbeitsabläufe, Nutzungsszenarien, Wünsche, Ideen, Konzepte, auch gesammeltes Feedback und Diskussion. Dazu gehören beispielsweise auch standardisierte und validierte Ergonomie-Fragebögen für anvisierte Nutzer, mit deren Hilfe Kunden-Umfragen umsetzbare Ergebnisse und Bewertungen erzielen und nicht beliebig interpretiert werden können.

Das Lübecker Tool ist auch für Anwendungen in der Medizin bereits im Testeinsatz. „Dort weiß man, wie wichtig nutzerorientiertes Design ist. Es geht hier um Sicherheitsvorteile, um schnelles, richtiges Reagieren in kritischen Situationen – im OP ebenso wie auf der Intensivstation. Man hat da einfach keine Zeit, auf dem Bedien-Display herumzusuchen“, erklärt Professor Herczeg. Das Usability-Thema werde noch immer unterschätzt. „Aber wie das Beispiel aus der Mobilgeräteindustrie zeigt: Als zentrales Verkaufsargument bei relativ gleicher technischer Leistungsfähigkeit wird unser Thema immer bedeutsamer. Hersteller unterscheiden sich heute kaum mehr in der Produktfunktionalität, aber erheblich in der Gebrauchstauglichkeit und Erlebnishaftigkeit ihrer Produkte. Unser UsER-Entwicklungssystem ist vor allem auch in der Medizintechnik geeignet und wird ständig modular erweitert. Zurzeit arbeiten wir unter anderem an einem integrierten Design-Styleguide.“

(rwe)

Weitere Infos auf der Website des Instituts